2019

Schwebender Skulpturengarten Für die Vögel | For the Birds, 2019

Hollabrunn ist Sitz einer einzigartigen Vogelhaussiedlung: 51 Nist- und Futterhäuschen zieren auf unbestimmte Zeit die Gartenanlage rund um das dortige Landesklinikum. Frei nach dem Vorbild der Werkbundsiedlung* sind hier innovative Prototypen für ein zukunftsträchtiges Zusammenleben aller versammelt. Diese außergewöhnliche Sammlung mit dem Titel Für die Vögel | For the Birds hat die Klinik einer Idee der in Wien lebenden Bild(er)hauerin Claudia Märzendorfer zu verdanken, die das bemerkenswerte Projekt mit über 40 von ihr eingeladenen Künstler:innen verschiedener Sparten 2019 erstmals umsetzte. Eine Soundinstallation am Seiteneingang zwitscherte dabei und pfeifte darüber hinaus mehr und weniger Wissenswertes zur Vogelwelt.

Anlass für dieses gemeinschaftliche künstlerische Manifest war das 20-jährige Bestehen der sozialpsychiatrischen Abteilung am Landesklinikum Hollabrunn 2019. Dieses Jubiläum wollte gefeiert werden und ein hierfür entwickeltes Kunstwerk, sollte ein nach außen sichtbares Zeichen setzen. Die therapeutisch positive Wirkung von Kunst ist ja ebenso unbestritten wie jene von zwischenmenschlicher Kommunikation und der intakten Beziehung des Menschen zu Tieren und zur Natur.

Einen „aeronautischen Skulpturengarten“ wolle Märzendorfer also schaffen. Dieser spezielle, weil von Vögeln benutzte Skulpturengarten solle den Menschen, die hier täglich ein und aus gehen – zu therapeutischen Sitzungen und Behandlungen, zur Arbeit oder um jemanden zu besuchen – gleichermaßen Freude bereiten und Stoff für angeregte Gespräche bieten. Mit der ihm zugrunde liegenden Offenheit und Großzügigkeit setzt dieses kollektive Projekt darüber hinaus ein klares Zeichen für Vielfalt und Unkonventionelles, insbesondere aber für ein respektvolles Miteinander. Es ist ein erfrischender und ermutigender Gegenentwurf zu übersteigertem Individualismus und gesellschaftlichem Konformitätsdruck, Selbstoptimierung und deren mitunter gesundheitlichen Folgen.

Bei für die Vögel haben in der ersten Auflage 2019 mehr als 40 Kunstschaffende quer über Generationen und geografische Grenzen hinweg beigetragen, ein ausgewogenes Gender-Verhältnis war selbstverständlich. Die Liste der Beteiligten liest sich wie das A und O der heimischen und internationalen Kunstwelt. Von AA wie Azra Akšamija, der ausgezeichneten Künstlerin und Professorin am namhaften MIT in Cambridge (USA), bis WW wie Werner Würtinger, ehemaliger Präsident der Wiener Secession, der in seiner langjährigen Lehrtätigkeit in der Bildhauerklasse der Wiener Akademie mehrere Generationen von KünstlerInnen prägte. Unter die Vogelimmobilien selbst reihen sich in der ersten Auflage 2019 romantische Interpretationen – beispielsweise das aus anonymen Liebesbriefen gewebte Liebesnest der Musikerin Maja Osojnik oder das kirschrot leuchtende Cherry Couple der Künstlerinnen Toni Schmale und Wally Salner – ebenso wie organisch wuchernde Nestobjekte (Judith Fegerl, Simona Koch u. a.) und minimalistisch angehauchte Vogelkästen mit strengen, klaren Linien (etwa von Udo Bohnenberger oder Lotte Lyon). Auch Funktionales findet sich unter den Objekten, wie die Vogelbedürfnisanstalt des bekannten Cartoonisten Rudi Klein, ein Flugpost-Briefkasten der Autorin und Musikerin Ruth Cerha oder die Birdaid-Station von Andi Strauss. Für ausgelassene bis ekstatische Vogeltänze hat die erfolgreiche Band Elektro Guzzi die Vogeldisco Nest 54 beigesteuert, die aufstrebende Fotokünstlerin Sophie Thun wiederum ein intim-dezentes Fotostudio, und auf Bühnen können sich diverse Vogelarten spielerisch in Szene setzen, von Miriam Bajtala etwa oder der britischen Künstlerin Anne Hardy. Architektenvillen wurden entworfen, und ein Vogel-Spa eingerichtet (Anita Witek), Gedichte wurden verfasst und Kompositionen notiert (Ferdinand Schmatz & Annelie Gahl), Instrumente umfunktioniert (Ed Schnabl), aber auch Alltagsgegenstände – eine Bierkiste etwa vom Biennale-Künstler und Leiter der Bildhauerklasse an der Angewandten, Hans Schabus, oder ein Lagerhaus-Kübel von der Schweizer Künstlerin Regula Dettwiler, in deren Arbeit Natur eine zentrale Rolle spielt. Nicht zuletzt wird dank Direktschaltung zum Birdy-TV-Sender des bekannten österreichischen Künstlers und Regisseurs Edgar Honetschläger dieser Bericht zur Hauptsendezeit ausgestrahlt.

*Die Wiener Werkbundsiedlung ist eine 1932 in Wien-Hiezing fertiggestellte Mustersiedlung für idealtypischen Wohnbau mit ursprünglich 70 (heute 64) von international anerkannten Architekten (und einer Architektin) entworfenen Einfamilienhäusern.

Jeanette Pacher rspbrry club, 2019